SPUTNIK TAG und WACH Keinen Bock auf Karneval und Fasching

22. Februar 2020, 07:16 Uhr

Das Bühnenspiel der Klischees, das Auffahren der Peinlichkeiten und endlose Saufgelage - es ist Karneval! Ein Kommentar.

Als Ex-Mainzerin ist mir Karneval geläufiger als Fasching, es ist aber eigentlich genau das Gleiche. Auch uneigentlich, wie ich nachgelesen habe. Es sind lediglich verschiedene Worte für die sogenannte fünfte Jahreszeit.

Luftschlangen und Konfetti

Karneval, Fasching, Fastnacht - all the same! Der Brauch des Verkleidens, Späßemachens und der politischen Parodien geht in Deutschland bis ins Mittelalter zurück. Vor der Fastenzeit wollte man es wohl schon damals nochmal ordentlich krachen lassen. Und naja, warum auch nicht. Heute wird diese Tradition in vielerlei Hinsicht fortgeführt. Tanzgruppen, Büttenreden-Lokalhelden und -heldinnen, Vereine, Umzugswagenbauer und -bauerinnen... All diese Leute lieben Karneval, Fasching, Fastnacht. Besonders Kinder lieben es, sich zu verkleiden, Glitzer zu verstreuen, Konfetti und Luftschlangen zu werfen, und die "Kamelle", wie im Rheinland Bonbons genannt werden, die von Wägen während des Umzuges verteilt werden, lieben Kids eben auch. So weit, so gut, könnte man meinen. Aber die Karnevalszeit hat auch noch eine andere Seite.

Eine Reihe lachender Mädchen in Sternenkostümen
Jung oder alt, hauptsache närrisch! Es gibt in ganz Deutschland verteilt Tanz- und Karnevals- bzw. Faschinggruppen. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Kamelle und Karneval

Wie war das bei mir, damals, am Rosenmontag? Als Jugendliche bestand der Tag aus Verkleiden, an einer Straßenecke stehen, warten, bis ein Umzugswagen mit 90er-Dance-Music vorbeifährt, auf meine Mutti hören, die sagt: "Lass dich nicht von Besoffenen anquatschen!". Und natürlich in meinem eigenen, eher leidlich-bemühten Kostüm neben Menschen, die sich in einem Drachen- oder Hasen-Onesie befinden oder sich ein närrisch-näckisches Katzengesicht mit Schnurrhärchen gemalt haben, darauf warten, in einen weißen Plastikbecher einen Schluck Wein spendiert zu bekommen.

Ja, wow, oder? Ich erinnere mich auch noch an immer wieder umherfallende Jungsgruppen, die sich - zumindest damals - gerne in Militär- oder auch Polizeiuniform oder (ganz originell) als Frau verkleideten und hinter ihren neon-gerahmten Sonnenbrillen den reichlich überpegelten Alkoholkonsum unter ziemlich viel Fake-Coolness verbargen.

Übergriffe, Blackfacing und viel Unbehagen

Besoffene Frauen und Männer, Übergriffigkeit, Männer, die sich als Frauen verkleiden und in seltsamer Art und Weise Weiblichkeit ins übertrieben Lächerliche ziehen; Blackfacing im Deckmantel von "Satire", "Verkleiden" und "Spaß haben" - sorry, du machst nochmal auf welches soziale Stigma hyperironisch aufmerksam, wenn du als Bob Marley verkleidet durch die Straßen läufst und mit der Bierflasche im Arm herumtänzelst, als sei nichts? Ah ja, genau, auf keines, stimmt.

Denn um es nochmal festzuhalten: Wer Karneval und Fasching liebt - das ist okay. ABER! Verkleidet euch nicht als schwarze oder indigene Personen und malt euer Geschicht nicht braun oder schwarz an. Die Ethnie und Kultur anderer Menschen ist keine Verkleidung, kein Kostüm, das man zum Amüsement anlegt und dann wieder ablegt. Die ganze Sache hat einen Namen: Blackfacing. Just don't!

Wer gerne mal einen, zwei, drei oder auch vier Wein trinkt: Warum nicht. Wenn du dann aber ausfällig oder übergriffig wirst, solltest du nicht nur an Karneval darüber nachdenken, ob der Alkohol dir gut tut. Gerade zu Karneval und Fasching scheint eine "Nach mir die Sintflut"-Attitüde zu herrschen, was Konsum anbelangt. Denk an deine Freunde und Freundinnen und sei kein Arsch. Auch nicht zu Fasching!

Der politische Aschermittwoch - Auweia!

"Satire darf alles" - ein Ausspruch von Kurt Tucholsky, kennen wir. Ob und wie jede und jeder von uns diesen Satz versteht, auslegt oder als Lebensmotto verinnerlicht hat, ist individuell völlig unterschiedlich. Die Grenzen des guten Geschmacks sind relativ und dazu noch sehr verschieden. Dass an Fastnacht einige solcher Grenzen bereits überschritten wurden und Menschen verletzt oder beleidigt wurden, hat sich erst im letzten Jahr gezeigt.

2019 sorgte Annegret Kramp-Karrenbauer, die (Noch-)Bundesvorsitzende der CDU, dafür, dass das Fremdscham-Level in den dunkelroten Bereich tendierte. Sie machte sich über das dritte Geschlecht lustig, ein "Toilettenwitz" sollte für Erheiterung sorgen, ganz im Sinne der Tradition. Nunja, was dabei herauskam, war ein Minderheiten-Bashing, das ein paar Polit-Kollegen und Kolleginnen, einigen Medienschaffenden und bekennenden Faschingsfans deutlichst missfiel.

Diese Situationen als solche zu formulieren, Probleme darin zu erkennen, die besonders zu Karneval ins Auge stechen, das sickerte bei mir erst durch eine große Portion Aufklärungsarbeit durch. Und die kam durch verschiedene Personen, die mir glücklicherweise bei Instagram auffielen und mir (danke, Algorithmus!) angezeigt wurden oder die Freunde und Freundinnen in Stories verlinkten. Das wären zum Beispiel die Aktivistinnen und Autorinnen Maja Bogojević, Arpana Aischa und die drei Frauen von wirmuesstenmalreden. Sie setzen Themen wie Blackfacing zu Karneval immer wieder auf die Agenda-Liste, verweisen auf Literatur und leisten Bildungsarbeit.

Fastnachts-Fazit: (noch) keinen Bock auf Karneval

Späße machen, clowny und ausgelassen sein, mit Freunden und Freundinnen ein Bier trinken, politischen lokal-lustigen Fastnachtsreden zuhören - alles fein. Minderheiten als Vehikel zur Belustigung der Mehrheitsgesellschaft ausnutzen, Menschen übergriffig gegenübertreten, aus welchen (unter Umständen alkoholgeschwängerten) Gründen auch immer - das ist ätzend. Und leider kommt das an Karneval (noch) zu oft zusammen.

Wie unsere SPUTNIK Zone so zum Karneval steht und feiert, hört ihr am 24.02.2020 bei SPUTNIK TAG und WACH am Rosenmontag.

Das Thema im SPUTNIK Programm: SPUTNIK TAG und WACH | 24.02.20 | 05:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: 24. Februar 2020 | 11:00 Uhr